Eher zufällig hatte ich einer befreundeten Künstlerin, Silvia Liebig, von den Fotos im StudioX erzählt. Ein stillgelegtes Pornokino von innen sehen? Warum nicht?
So begingen wir zusammen die Immobilie während meiner Fotoarbeiten. Der Bau sollte nicht nur auf mich eine faszinierende Wirkung haben. Schnell kam der Gedanke auf, das wir aus dem StudioX mehr machen sollten als nur ein paar Fotos und einen virtuellen Durchgang.
Wir schlossen uns mit Achin Zepezauer zu einer Künstlergruppe zusammen und beantragten Fördermittel für ein Kunstprojekt, das das zum Abriss stehende Gebäude zum Aufhänger für ein Projekt um Moral, Prostitution und Sexuellen Bedürfnissen machen sollte.
Uns ging es um die Narrative, die sich um den Ort StudioX herum entwickelten, wobei die Frage nach dem Narrativ ebenso eine individuelle wie eine politische ist. Wir planten, den gemeinsamen Fokus unserer künstlerischen Arbeiten darauf richten, wie sich dieser Ort in all seinen Facetten und aus unterschiedlichen Perspektiven lesen, erzählen und abbilden lässt. All dies wollten wir zusätzlich um eine dokumentarische Dimension ergänzen.
Das Projekt ‚Studio X’ sollte Aspekte des Themas untersuchen und dabei Wissen über den Ort mit Assoziationen und unerwarteten Einfällen verknüpfen.
So sollte das eigenwillige Erkenntnispotential der Kunst Impuls zum Nachdenken über diesen Ort und seine Nutzung werden.
Ausgehend von einer Materialsammlung, soll ein für alle zugängliches Ergebnis entstehen (vielleicht eine begehbare Installation mit Schnittstelle zu einer virtuellen Raumerweiterung?) das weiter- und anders gedacht werden kann.
Alle drei von uns würden im Austausch miteinander einen eigenständigen Beitrag zu einer gemeinsamen Rauminstallation entwickeln, die diverse Medien, Techniken und Vorgehensweisen einschließen kann. Wir richteten unser Projekt prozessorientiert und ergebnisoffen aus.
Mit welchen Quellen sollten wir arbeiten? In der ersten Phase unseres Projekts suchten wir nach Quellen die sich auf den Ort ‚Pornokino‘ referenzierten und versuchten, die Entstehung des StudioX in den zeitlichen Kontext zu stellen. Das Kino hatte um 1972 eröffnet. Damals noch als Kino mit nur einem Vorführraum. Das Genre war damals noch neu und das Publikum solcher Kinos hatte zwar großes Interesse an erotischen Filmen, aber der Markt war damals nicht wirklich in der Lage, den Bedarf in Europa zu stillen.
Die etwa zeitgleich in den USA entstandenen ‘Adult Entertainment Cinemas’ hatten wesentlich mehr Titel zur Vorführung da es in den normalen Kinos keine Altersbeschränkung gab, bzw Filme mit erotischen Inhalten zusammen mit pornografischem Material in Kinos für Erwachsene gezeigt wurden, während in Europa solche Filme in normalen Kinos gezeigt wurde. Der Zugang wurde über Altersbeschränkungen geregelt. So hatten die neuen Porno-Kinos weniger Titel für die Projektion zur Verfügung.
Obwohl ab 1970 die sexuelle Revolution auch Deutschland zu erfassen begann, traf sie hier auf eine Gesellschaft, die sich mehrheitlich noch immer in den Moralvorstellungen der fünfziger Jahre bewegte. Wie funktionierten die beiden Systeme neben- oder miteinander (oder wie funktionierten sie eben nicht?)
Wir trafen uns regelmäßig um unsere Ergebnisse unserer Recherche, Zwischenstände und Ideen zu besprechen und weiter zu entwickeln. Auf diesem Weg besuchte ich das schwule Museum in Berlin um im dortigen Archiv ‚Amigo‘ Hefte nach literarischen Ergüssen zu durchsuchen. Diese Hefte waren in den siebziger Jahren das erste Medium das sich an homosexuelle Männer richtete. Mit der Post konnten Menschen damals ein kleines Heft bestellen, das zum Großen Teil aus Kontaktanzeigen, erotischen bis anzüglichen Geschichten und ein paar wenigen erotischen Bildern bestand. Die Geschichten in diesen Heften spielten sich überraschend häufig in Kinos ab, aber auch in Ländern, von denen man damals annahm, das dort liberalere Ansichten zu Homosexualität bestanden. Übrigens wurden die AMIGO-Hefte in Dänemark unter dem Namen EOS produziert und für den deutschen Markt, und schnell auch europaweit ins Deutsche übersetzt - allerdings nicht von einem Muttersprachler. Die Texte waren daher oft eigenwillig und unfreiwillig komisch formuliert.
Seite aus einem AMIGO-Heft der siebziger Jahre
Ich hatte die Zeit während der Fotoarbeiten im Kino dazu genutzt, ein ‚re-Enactment‘ in drei Motiven zu inszenieren. Die Bilder würden in die Ausstellung einfließen.



Außerdem hatte ich unter dem Namen ‚StudioX‘ bei verschiedenen Kontaktportalen ein Profil eingerichtet um dort Menschen zu fragen, ob sie in dem Kino Kunde waren, warum sie ausgerechnet dort hin gingen und was sie dort (Besonderes) erlebt haben.